Die Baubranche ächzt unter hohem Fachkräftemangel. Wir haben daher mit dem Geschäftsführer von Die Bauwirtschaft im Norden gesprochen und gefragt: kann sich die Lage bald entspannen?
Knapp 42.000 nicht besetzbare Stellen in Unternehmen, die für „vorbereitende Baustellenarbeiten, Bauinstallation und sonstiges Ausbaugewerbe“ zuständig sind, meldet das Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (kurz: KOFA) für den Jahresdurchschnitt 2023/2024. KOFA zufolge tragen diese Fachkräfteengpässe auch zu dem stagnierenden Wohnungsbau bei. Tatsächlich müssten pro Jahr mehr als 372.000 neue Wohnungen gebaut werden, um den Bedarf zu decken. Das sind rund 78.000 mehr als tatsächlich realisiert werden.
Dr. Klein als Kreditvermittler von Immobilienfinanzierungen registriert, dass insbesondere der private Neubau von Wohnungen und Häusern seit der Zinswende 2022 nahezu brach liegt. Für Laien könnte der Eindruck entstehen, dass somit mehr handwerkliche Fachkräfte für andere Aufträge – beispielsweise für die Umrüstung alter Bestandsgebäude – zur Verfügung stehen. In der Praxis sieht das oftmals anders aus. Lange Wartezeiten für die verschiedensten Gewerke sind eher der Standard als die Ausnahme. Doch warum ist das so, wenn doch rein theoretisch mehr Arbeitskraft aufgrund der so drastisch eingebrochenen Baugenehmigungen und der niedrigeren Auftragslage zur Verfügung stehen würde? Dr. Klein hat mit Georg Schareck gesprochen. Er ist der Hauptgeschäftsführer von Die Bauwirtschaft im Norden.
Georg Schareck: Das kann ich Ihnen ganz einfach beantworten: Die komplette Handwerksbranche hat im Zuge der vergangenen Jahre einen riesigen Auftragsbestand in den Büchern angehäuft, der schlicht und ergreifend abgearbeitet werden musste. Bis ins Jahr 2022 hinein gab es sehr attraktive Konditionen für Immobilienfinanzierungen. Die Branche zeichnete sich durch eine hohe Baugenehmigungsdichte aus. Durch die starke Nachfrage kam es also zu einer Verknappung des Angebots, die bis zum Beginn des Ukraine-Krieges angehalten hat. Bis dahin wurde in der Fachpresse vielfach von einer „Baublase“ gesprochen. Die baurezessiven Züge seitdem sind deshalb bis zum Bottom-down einer „normalen“ Baukonjunktur per se eine Korrektur. Ich verwende in diesem Zusammenhang also nicht gerne das Wort „Fachkräftemangel“. Unsere Betriebe und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiteten vor dieser degressiven Entwicklung vielfach an ihren Kapazitätsgrenzen.
Um nochmal auf das Thema „Wartezeiten“ zurückzukommen: Es hat schon immer betrieblich notwendige Vorlauffristen in der Baubranche gegeben. Kein Handwerksbetrieb hat sich jemals in der Warteposition befunden, um am Tag nach der Beauftragung mit der Arbeit zu beginnen. Hinzukommt, dass auch das Baugewerbe von Zulieferbetrieben abhängig ist und auch bei denen gibt es in Teilen immer noch Lieferengpässe für bestimmte Baumaterialien.
Georg Schareck: Das kann man so pauschal nicht sagen, nein. Gewisse Bereiche innerhalb des Handwerks boomen nach wie vor und sind weiterhin auskömmlich ausgelastet, so zum Beispiel in der Heizungs-, Sanitär- und Klimatechnik. Hier sind das sogenannte Heizungsgesetz und veränderte Förderbedingungen Treiber der Aufträge. „Normalität“ heißt bei uns eher, dass eine nachlassende Nachfrage, bestimmbar an deutlich weniger Baugenehmigungen, zu mehr Wettbewerb am Markt führt.
Georg Schareck: Ich bringe es mal auf den Punkt: Laut ZDH, dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, fehlen uns derzeit schätzungsweise 250.000 Facharbeiter und Facharbeiterinnen. Im Durchschnitt sind 20.000 Ausbildungsplätze im Handwerk unbesetzt. Das sind beträchtliche Zahlen. Kurzum, das deutsche Handwerk ächzt. Und das nicht erst seit vorgestern. Der sogenannte Fachkräftemangel ist in unserer Branche im Grunde ein Dauerbrenner. Diesen Mangel an Arbeitskräften haben wir allerdings vielfach durch die industrielle Vorfertigung, Digitalisierung von Planungsabläufen und intensivem Baustellenmanagement im Griff. Aber auch an uns geht der demographische Wandel nicht spurlos vorüber. Der Trend, weniger verfügbare Auszubildende zu haben, führt bei unseren händischen Leistungen irgendwann natürlich auch an Grenzen.
Georg Schareck: Wir können festhalten, dass wir uns schon seit gut 25 Jahren mit dem Thema Fachkräftemangel umherschlagen. Die Baukrise Anfang der 2000er und der von der damaligen Bundesregierung verantwortete Wegfall vieler Meisterpflichten der Berufszweige sowie der demographische Wandel führten dazu, dass weniger ausgebildet wurde. Insgesamt gab es binnen weniger Jahre rund 60 % weniger Fachkräfte im Bauhandwerk. Der Wegfall der besagten Meisterpflicht durch den damaligen Bundesarbeitsminister resultierte darin, dass sich viele Arbeitnehmende, auch wenn sie noch nicht viel Berufserfahrung hatten, selbstständig machten, zum Teil mit Ein-Personen-Betrieben. Selbst ausgebildet haben sie andere jedoch nicht, teils mangels Befähigung, teils weil sie sich nicht selbst die Konkurrenz heranziehen wollten. Wir können also festhalten, dass die Ausbildungsbereitschaft damals sehr mau war und sich lange nicht richtig erholt hat. Zusammen mit dem demographischen Wandel ist heute statistisch gesehen nicht genügend „Masse“ – sprich Auszubildende – am Markt, um den entsprechenden Bedarf voll decken zu können. Der Run auf die Besten der Auszubildenden hat schon vor Jahren begonnen.
Georg Schareck: Das große Problem heute ist, dass wir nicht nur unter einem spürbaren Lehrstellenwettbewerb mit anderen Branchen, wie der Industrie, stehen. Tendenziell entscheiden sich immer noch viele nach der Schule für ein Studium und nicht für eine klassische Ausbildung im Handwerk. Was meiner Ansicht nach fatal ist, denn gerade im Handwerk gibt es die im Vergleich sichersten Arbeitsplätze, die noch dazu gut bezahlt sind. Die handwerkliche Ausbildung heutzutage ist enorm komplex, was womöglich immer noch zu unbekannt ist. Mit anderen Worten ist im gesamten Handwerk für jeden etwas dabei – nach Neigung und Leistungsbereitschaft.
Georg Schareck: Die Fachkräfte im Bau müssen sich heutzutage unter anderem in Sachen Energieeffizienz regelmäßig weiterbilden. Das verdeutlicht folgendes Beispiel: Erst gab es die Wärmeschutz- und Heizungsanlagenverordnung, die 2002 von der Energieeinsparverordnung, kurz EnEV, abgelöst wurde. Seit 2020 gibt es nun auch die EnEV nicht mehr und wir haben das Gebäudeenergiegesetz. Sich ständig ändernde Regularien und Vorschriften, Gesetze und Verordnungen, an die sich Betriebe halten müssen, erfordern Schulungen. Die Branche braucht Zeit, um sich auf neue Anforderungen einzustellen. Das müssen Gesellschaft und Politik verstehen.
Und wenn ich damit nochmal auf den Punkt „Wartezeiten“ eingehen darf: überhängende Aufträge aus den vergangenen Jahren, fehlender Nachwuchs, stetiger Wandel und Unsicherheiten in der Branche durch die Bundes- und Europapolitik – da ist es nicht verwunderlich, wenn hier und da einmal länger auf den Handwerksbetrieb gewartet werden muss.
Georg Schareck: Es ist doch so: Auch eine neue Bundesregierung wird nicht von heute auf morgen unsere berechtigten und notwendigen Forderungen umsetzen können, selbst wenn sie es wollte. Dabei braucht es einiges so dringend. Zum Beispiel die Ankurbelung der Baukonjunktur, die Erleichterung der Migration von Fach- und Arbeitskräften aus dem Ausland oder auch die weitere Gleichbehandlung der finanziellen Förderung von akademischer und beruflicher Bildung. Jetzt aber steht erst einmal die nächste große Herausforderung vor der Tür, nämlich der demographische Wandel, unter dem, wie bereits beschrieben, auch das Handwerk massiv leidet. Die 1960er bis 1965er Jahrgänge schieben wir vor uns her. Es dauert nicht mehr lange bis eine ganze Generation vom Arbeitsmarkt verschwindet. Allein 2025 sollen es drei Millionen Erwerbstätige sein. Trotzdem möchte ich betonen: Um den Bau ist mir nicht bange. Die Bauwirtschaft hat schon seit längerem ihre Leistungsstrukturen angepasst und wird dies den Rahmenbedingungen folgend auch weiter tun. Die Gesellschaft braucht das deutsche Baugewerbe, ob im Hoch- oder Tiefbau oder in der Infrastruktur, jetzt und auch künftig.